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Archive for Juli 2008

Barish, Jonas A. “ Baroque Prose in the Theater: Ben Jonson“ in PMLA. Vol 73/ No.3

(184) Der Beitrag möchte den allgemeinen Untersuchungen zum Barockstil durch Morris W. Croll und George Williamson eine individuelle Perspektive hinzufügen. Er möchte zeigen, welche Varianten innerhalb der Bewegung möglich sind. Er beschränkt sich auf das Beispiel Ben Jonsons, den er gelegentlich von Bacon abgrenzt. Der Barockstil ist durch eine oppositionelle Haltung gegenüber ciceronianischer Syntax geprägt. Cicero und seine Nachfolger setzen den Höhepunkt eines Satzes an das Ende und zögern ihn durch Nebensätze hinaus. Dagegen meide der Barockstil komplizierte Satzkonstruktionen und bewegt sich lieber improvisiert und mit abrupten Wechseln. (185) Es lassen sich zwei Praktiken beschreiben, die Morris W. Croll mit „curt style“ und „loose style“ beschrieben hat. Der „curt style“ wird auch stile coupe oder stile serré genannt. Die Sätze dieses Stils sind durch unerwartete Wechsel gekennzeichnet. Eine Zeile besteht aus mehreren unabhängigen Phrasen, die durch Kommata oder Semikolons von einander getrennt sind. Es entsteht der Eindruck, als ob die Gedanken unmittelbar zu Papier gebracht wurden. Meistens beginnt eine Zeile mit dem Hauptgedanken, der dann näher illustriert und konkretisiert wird. Die Folge der Phrasen wird jedoch selten durch Logik bestimmt. Ihre Anordnung erscheint zufällig und Ergebnis imaginativer Verknüpfungen.

They are, what they are on the sudden; they shew presently, like Graine, that, scatter’d on the top of the ground, shoots up, but takes no root; has a yellow blade, but the eare empty. (Jonson. Discoveries 685ff.)

Die typische Zeile des „curt style“ eignet sich, durch die Unabhängigkeit der einzelnen Elemente, für rasche Gefühlswechsel, unmittelbare Kommentare oder Selbstbetrachtungen, sowie plötzliche Einwürfe oder Darstellung von sprachl. Unachtsamkeiten. Der Stil entspräche dem lebendigen Denken, so Barish. (186) Jonson verwendet diesen Stil an verschiedenen Stellen. Er benutzt die Satzkonstruktionen für witzige Wortspiele. Eine Metapher wird postuliert und dann in den Nebensätzen Schlag auf Schlag konkretisiert.

Ne’re trust me, CVPID, but you are turn’d a most acute gallant of late, the edge of my wit is cleere taken off with the fine and subtile stroke of your thin-ground tongue, you fight with too poinant a phrase, for me to deale with (Cynthias Revels)

Zudem wird der Stil als Gestaltungsmittel verwendet:

the curt period serves especially well to characterize angry or indignant, impatient or volatile, or merely distracted or simple-minded people.

Des Weiteren ist er das Kennzeichen von unruhigen (wasps) oder unverständigen (half-witted) Figuren. (187) Der „curt style“ ist keine Kopie der Alltagssprachem sondern von dem Ziel geprägt, Denken und Ausdruck in Übereinstimmung zu bringen.

By borrowing freely from colloquial speech, Jonson effected a kind of merger between it and his own Stoic models, and in so doing managed to combine the vitality of live language with the authority and expressive potency of a formed rhetoric.

„Asymmetrie“ ist ein weiterer, damit verbundener Begriff, mit dem sich Jonsons Prosa beschreiben lässt. Jonson bricht häufig mit den Erwartung an die Syntax. (188 ) An vielen Stellen, an denen er symmetrische Satzkonstruktionen verwendet, geschieht es in satirischer Absicht. Die dargestellte Figur erscheint so als affektiert. (189 ) Es ist typisch für den Barock, dass sie die Zwänge von Rhythmus oder Symmetrie nicht erfüllen wollen.

Where he arouses expectations of symmetry, it is usually for the purpose of violating it. When an implied symmetrical pattern is perpetually being disturbed and thwarted by small changes in form, we have the phenomenon of symmetry clashing with asymmetry which is at the heart of baroque stylistic practice …

(190) Der „loose style“ bevorzugt im Unterschied dazu Verbindungen zwischen den Sätzen und längere Bedeutungseinheiten. Er beschränkt sich allerdings auf „and“ und „or“ als Konjunktionen, so dass die Beziehung zwischen einzelnen Sätzen nicht explizit wird. Für Nebensätze ergibt sich der Eindruck, dass sie gleichgeordnet sind. Weitere Eigenheiten des Stils sind Klammern, mit denen der Schreib – oder Redefluss unterbrochen wird. (191) Für Ben Jonson ergibt sich aus diesen stylistischen Untersuchungen ein Paradox, weil er theoretisch viel Wert auf die sorgfältige Konstruktion von Dichtung legt, aber im Erscheinungsbild Improvisation praktiziert. (192) Für beide Stilunterarten finden sich unterschiedliche Einsatzgebiete. Der „curt style“ wird vorwiegend für den Ausdruck von Gefühlen und Intensität verwendet. Der „loose style“ ist typisch für Deklamationen oder Monologe. Der Beitrag wendet sich nun vom Nachweis barocker Stilelemente, wie sie von Croll und Williamson beschrieben worden sind, ab. Barish will nun die Eigenständigkeit von Jonson in den Blick nehmen. Häufig bricht Jonson mit den Erwartungen an die Ordnung von Wörtern und Phrasen. Dadurch werden Textteile besonders betont. Erstens isoliert und entfernt er sprachliche Einheiten aus ihren gewohnten Zusammenhängen und erzeugt dadurch Rhythmik. Die Spannung, die so zwischen Syntax und Rhythmus entsteht, könne als typischer Effekt barocker Dichtung gelten und als Form der Asymmetrie. (193) Zweitens werden Phrasen zwischen Relativpronomen und Bezugswort geschoben. Das Verfahren ahmt möglicherweise eine Eigenart lateinischer Dichtkunst nach, entspricht aber auch der Umgangssprache, die selten Rücksicht auf logische Satzbeziehungen nimmt. Drittens werden grammatische Elemente ausgelassen.

His modesty, like a riding Coat, the more it is worne, is the lesse car’d for (Discoveries 1328-29).

Die Antithese wird gebrochen und unvollständig ausgeführt. Viertens parallelisiert Jonson Elemente, aber verweigert sich der Symmetrie, indem er sie grammatikalisch nicht angleicht oder inkongruente Elemente parallelisiert.

to taste all by degrees, and with change. (Disc. 1654-55)

Typisch sind auch, bei der Aneinanderreihung mehrer Teilsätze, wechselnde Subjekte. Barish schließt die Detailanalysen mit einem Vergleich von Barockstil und „Euphuismus“, mit Blick auf Malerei ab. Er hebt noch einmal hervor, dass für Jonson Irregularität ein Programm ist.

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Parfitt, George A.E. „Compromise Classicism: Language and Rhythm in Ben Jonson’s Poetry“ in Studies in English Literature, 1500-1900. Vol 11/ No. 1 (Winter 1971)

(109) Die Geschichte der Forschungen über Ben Jonson wäre durch Mißverständnisse seines Klassizismuses geprägt. Der Beitrag will klären, in welcher Hinsicht sich Jonson an antiken Vorbildern orientiert. Er konzentriert sich auf die Lyrik und beginnt mit der Beschreibung typischer Merkmale. Erstens falle auf, dass die Gedichte sehr sparsam mit Bildlichkeit umgehen. Eine imaginative Rezeption wird am häufigsten durch den figurativen Gebrauch von Verben unterstützt. (110) Werden metaphorische Vergleiche verwendet, bleibt es bei einer Nennung. Die Metaphern werden weder ausgeführt, noch ausgeschmückt. Thematisch beschränkt er sich auf Metaphern aus dem Alltagsleben oder dem Tierreich.

each image is particular and local to a single object or idea, and it illuminates its referent while seldom irradiating surrounding lines.

Daraus ergibt sich der Eindruck, dass es seinen Gedichten an Vitalität fehle. Ein Blick auf die Adjektive scheint den Befund zu bestätigen. Lediglich eine überschaubare Gruppe (famous, great, good, new, old, bright, noble, fair, gracious) wird zur näheren Qualifikation von Gegenständen und Personen verwendet. (111) Die Stärke von Ben Jonsons Versen liegt in seinen Verben, die vor allem physische Handlungen bezeichnen. Aber auch hier stehen Präzision und Einfachheit im Vordergrund. Es fehlt an Emotionalität. (112)

Jonson’s use of a small group of adjectives, the fact that the local meaning of a par ticular word varies little from poem to poem, and the fact that when the adjective refers to some moral attribute or dis tinction it can always be related to one of the poet’s clearly stated ethical beliefs-all these things help to give commonplace words in his verse a solidity and weight of meaning which is far from inert or imprecise.

Die von Ben Jonson verwendete Sprache ist weder anachronistisch, noch modisch. (113) Für ihn bilde die Alltagssprache den Maßstab für eine sprachliche Äußerung. (114f) Im Unterschied zu späteren Dichtern liegt der ästhetische Schwerpunkt nicht auf dem Reim. Das Reimwort schließt die Bedeutung einer Zeile nicht ab, sondern innerhalb einer Zeile kann es in sich geschlossene Bedeutungseinheiten geben. (116) Vergleichbare Präferenzen finden sich bei Wyatt, Gascoigne, Turberville und Greville, die ebenfalls im „plain style“ dichteten. Vorbilder müssen nicht erst unter den römischen Dichtern gesucht werden. Er verzichtet zum Beispiel auf mythische und historische Vergleiche, wie sie für die römische Dichtung typisch waren. Dafür bezieht er sich, ähnlich seinen Zeitgenossen, auf die Tierwelt oder sexuelle Verhaltensweisen. Auch die Kürze seiner metaphorischen Vergleiche lässt sich nicht mit einem Verweis auf antike Vorbilder klären. (117) Von seiner Gegenwart, z.B. John Marston, unterscheidet Jonson dagegen, dass er eine weniger gewaltätige und bizarre Sprache verwendet. Zudem behält er die Syntax der Alltagskommunikation bei, während Marston sich durch Kompression oder Rhythmenwechsel von ihr entfernt. (119) Trotzdem argumentiert Parfitt, dass Jonson in Bezug auf Sprache, Rhythmus und Syntax Merkmale der lyrischen Praxis seiner Zeit aufweist. Jonson ignoriert jedoch weitesgehend den Wortklang als ästhetische Qualität von Dichtung. Des Weiteren stellt die Diskrepanz zwischen Vers und Bedeutungseinheit eine Spezifik dar. Sie ergbit sich aus der theoretischen Forderung, die Bedeutung über die Form zu stellen.

Jonson is unusual in the degree to which he varies his patterns of stress and plays verse rhythm against speech rhythm so that the result is a poetry in which the arrangement of words within the line is unusually important.

Ziel dieser Strategie wäre es, die Bedeutung einer Textzeile einzugrenzen und so die Rezeption des Lesers zu steuern. Die Bedeutungseinheiten werden vor einer „Übernahme“ durch die Form geschützt. (120) Möglicherweise versuche Jonson so eine Eigenart römischer Dichkunst im Englischen wiederzugeben. (121) In der lateinischen Dichtung gäbe es eine vergleichbare Spannung zwischen der ästhetischen Form, in der es auf die Abfolge Silben ankommt und dem Inhalt, der durch die Syntax gesteuert wird.

The habit of isolating a word or phrase by careful use of rhythm and punctuation allows Jonson an effect similar to that which a Latin poet could achieve by separating adjective from noun or verb from object, while the use made of contrast between verse and speech rhythms corresponds to the tension in Latin between the demands of quantity and those of syntax.

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Boehrer, Bruce Thomas.“Renaissance Overeating: The Sad Case of Ben Jonson“. in PMLA. Vol 105/5 (Okt 1990)

An verschiedenen Stellen hat Ben Jonson auf seinen korpulenten Körperbau verwiesen. Stetig versucht er, diesen Nachteil in eine Tugend umzudeuten. Einige frühe Biographen sind ihm dahin gefolgt und haben seine körperliche Gestalt als notwendige Ergänzung zu den von ihm vertretenen Idealen der Balance, der Einfachheit und der Zurückhaltung, betrachtet.

… a famous fat man and legendary drunkard constructing a cult of personality around his own excessive girth while excoriating his contemporaries for eating and drinking too much. (S.1072)

Der Beitrag versucht das Verhältnis von kulinarischem Exzess und literarischem Werk neu zu bestimmen und will so den Blick auf die sozialen Praktiken zu lenken, in denen sich Ben Jonsons Reputation entwickelt. Das Vergnügen an üppigen Festgelagen ist ein typisches Merkmal des höfischen Lebens der Stuartzeit, mit dem sich die Aristokratie gegen das Bürgertum abgrenzte. Fressgier (gluttony) ist für Jonson Instrument der Machtergreifung und Zeichen seiner Mächtigkeit. Er frisst, um sozial aufzusteigen. Gleichsam scheint er sich nicht ganz von bürgerlichen Werten trennen zu wollen. Er versucht die aristokratischen Werte in den bürgerlichen Diskurs über Zurückhaltung und Moderation zu integrieren.

Jonson gilt als Vertreter des „plain style“, der Inhalt über Ausdruck stellt. Die sprachliche Gestaltung wird oft mit seinen moralischen und ästhetischen Werten gleichgesetzt. Boehrer nennt die Rezeption des Epigrams Inviting a Friend to Supper, das als Lob der Zurückhaltung oder Ausdruck wahrer Festlichkeit betrachtet wird. Die Ausgeglichenheit ist möglicherweise Resultat einer zuvor erfolgten Sättigung. Jonson kann gar nicht anders, als sich zurückzuhalten. Die Zeile „Of this we will sup free, but moderately“ ist ein Paradox. Wie soll derjenige, der sich einer unglaublichen Fülle von Speisen gegenüber sieht, zurückhalten können und gleichzeitig frei speisen? Die Exzessivität des Festgelages wird von Ben Jonson lediglich durch das Ambiente, durch Verweise auf sein „ärmliches Haus“, moderiert. Ähnlich wäre das Lippenbekenntnis zur Zurückhaltung als Strategie zu betrachten, welche den Eindruck der Verschwendung abmildert.

Inviting a Friend to Supper“ seeks to create moderation out of juxtaposed and mutually exclusive extremes-extremes both of rhetoric and of social practice. On the one hand the poet assumes an air of hearty, good-natured poverty, asserting, in effect, that „we literati are simple folk“; yet as soon as this position becomes available, he snatches it back, replacing it with godwit, knat, raile, ruffe, Vergil, Tacitus, and Livy:… (S. 1073)

Wie wird der Eindruck eines moderaten Verhaltens noch erzeugt? Ben Jonson beschreibt ungebändigte, verfeinerte Vergnügungen und bezeichnet sie anschließend als einfach und arm. In dieser Hinsicht verhalte sich Ben Jonson wie ein Kleinbürger, der vom Großbürgertum – dem Adel im 17. Jahrhundert – fasziniert ist und gleichzeitig mit der Sache der Armen sympathisiert. Jonson führe Moderation nicht vor, sondern setze sie voraus.

Jonson can eat and drink until he chokes and still remain temperate… (S. 1074)

Im Epigram 101 beschreibt er die an das Essen anschließende Konversation als frei, aber etabliert zugleich Regeln, nach denen gesprochen werden soll. Das Bild der freien Rede und der unschuldigen Freundschaft zwischen den Redenden wird durch verschiedene Strategien garantiert. Ben Jonson nimmt in diesem Epigram die Position des absoluten Herrschers ein, der alles sieht, hört und regelt. Er steht über den Dingen und Widersprüchen, die seine Aussagen produzieren.

For as Jonson promotes himself through his work, he increasingly asserts his independence from the moral and aesthetic principles his work embodies. It is as if his qualifications as promoter of the moral law were a function of his superiority to it, a superiority to be displayed in every facet of his personal behavior. (S.1076)

Sein Erfolg berucht auf der Fähigkeit verschiedene Rollen einzunehmen. Er leidet mit dem Volk, wenn er korrupte Adlige beschreibt. Doch er dient auch dem König. Für ihn ist er ein Narr und für die närrischen Leute (die einfachen Menschen) ein König. Durch seinen statusbewussten Konsum (conspicuous consumption) erwirbt er Reputation. Von ihr ist er abhängig, so dass er ihr stets seine Prinzipien opfert.

His discourse of moderation-assertions of stoic calm, gestures toward classical restraint and the plain style, the pretense of cheerful humility-repeatedly melts into the language of royal absolutism and autocratic display. (S. 1080)

Seine moralische Ordnung, die er zunächst außerhalb der Gesellschaft verortet, kapituliert vor der gesellschaftlichen Hierarchie. Um Plainness zu verbreiten, muss er an den Exzessen teilnehmen.

… to promote plainness, Jonson must participate in extravagance, and he typically mystifies this relation by renaming display restraint and vice versa. In a series of formulations that could have come directly from Orwell’s Ministry of Truth, Jonson claims that anger is calm, that surveillance is liberty, that nobility is humble, and that drunken gourmandise is sober diet. This strategy rehabilitates the fat Jonson of courtly excess in the image of an almost revolutionary classical severity, much like the Roman republican virtue that would later inspire revolutionary movements in England, France, and America. (S. 1080)

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Trimpi, Wesley.“Jonson and the Neo-Latin Authorities for the Plain Style“ in PMLA. Vol 77/Nr. 1 (März 1962)

Die Entwicklung der Prinzipien und der Praxis des „plaine style“ wurde von neulateinischen Autoren stark beeinflusst, die bis zu diesem Zeitpunkt im stilkritischen Diskurs eher unbeachtet blieben. Um seine Position gegen Anhänger von Cicero (Prosaliteratur) und Petrarcha (Lyrik) zu festigen, greift Ben Jonson, der hier exemplarisch besprochen wird, in seinen Discoveries auf Erasmus, Lipsius, Vives und Francis Bacon zurück. Der Text stellt, so der Autor, eine theoretische Neubegründung des Stildenkens dar. Der Beitrag fokussiert auf die Erweiterung des Gegenstandsbereiches für den „plain style“ durch Ben Jonson. Traditionell waren religiöse und staatspolitische Themen dem hohen Stil vorbehalten, während dem einfachen Stil – genus humile oder genus tenue – die Reflektion alltäglicher Probleme von einfachen Leuten zugewiesen wurde und als angemessen für die Komödie, Konversation und Briefe galt. Bereits in der Antike wurde diese Einteilung bestritten. Komödiendichter und Satirikern beriefen sich auf ihr Recht, aktuelle Geschehnisse zu behandeln, egal, ob sie unbedeutend oder hochpolitisch waren. Ben Jonson nimmt einen ähnlichen Standpunkt ein. Er steht jedoch fast am Ende einer Diskussion, welche die themen- und gesellschaftsbezogene Bindung aller Stile obsolet machte. Bereits Luis Vives (1492-1540) richtete in De Ratione Dicendi die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf die Vielfalt der antiken Stilbegriffe und stellte so die Normativität eines angeblich antiken Stildenkens in Frage. Nach Auffassung von Wesley Trimpi waren die Briefrhetoriken von entscheidender Bedeutung. In ihnen manifestiert sich ein anticiceronianischer Diskurs. Demetrius, ein griechischer Rhetoriker, hat die Assoziation des „plain style“ mit der Textgattung „Brief“ begründet. Der Brief repräsentiere, seiner Auffasung zufolge, eine Seite eines Dialoges. Aus diesem Grund soll er sich am informellen Gespräch zwischen Freunden orientieren und erlaubt es, den Geist des Schreibenden offenzulegen. Deshalb sollte man komplizierte Sätze vermeiden und sich auf die Darstellung des Themas beschränken. Die Darstellung von Emotionen schließt Demetrius aber anscheinend aus. Doch erst in der Renaissance wurden Versuche unternommen, dem „plaine style“ die Anwendung auf alle Bereiche der Kultur zu ermöglichen. Erasmus beansprucht für den Brief das Recht, alle Gefühle und Gedanken über politische, häusliche und private Fragen zu ermöglichen. Der Brief müsse einen realen Mann, den ganzen Menschen repräsentieren. Francis Bacon scheint die Vielseitigkeit der Themen für den Brief – und damit für den „plain style“ – ebenfalls zu unterstützen.

Letters are according to all the variety of occasions, advertisements, advices, directions, propositions, petitions, commendautory, expostulatory, satisfactory, of compliment, of pleasure, of discourse, and all other passages of action. (The Advancement of Learning, ri, iii, 4, ed. W. A. Wright (Oxford, 1926))

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Coleman, James. „The Plain Style“ in College Composition and Communication. Vol 13/Nr. 4 (Dec 1962)

(1) Oft würde vergessen, dass der „plain style“, wie er als Ideal den Studierenden an den englischen Universitäten präsentiert wird, ein Stil, d.h. eine konventionelle Form ist. Er wird dagegen als einzige Ausdrucksmöglichkeit betrachtet, als erfolgreichste Form der Informationsdarstellung und erzählenden Prosa. Im Namen des „plain style“ werden jedoch systematisch anderen Ausdrucksformen negiert. Es gibt Gelegenheiten, bei denen ein Bedarf an den expressiven Möglichkeiten der Sprache besteht. Zudem ist der Stil nicht für jeden Rednertyp geeignet. (2) Was wird mit „plain style“ bezeichnet? Seine Eigenart bleibt unbestimmbar, da er vor allem durch das Fehlen expressiver Stilmittel gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zu Beispielen aus der Geschichte der englischen Literaturprosa verzichtet er auf rhetorische Figuren, syntaktische Gestaltung, Wiederholungen oder einen Sprachduktus. Er ist arm, gilt aber als ehrlich, alltäglich und transparent. Der Autor bezweifelt jedoch, dass ein klarer und angenehmer Schreibstil allein durch eine Reduzierung auf eine Norm, die von jederman beherrschbar ist, erzielt werden kann. Der „plaine style“ hat eine lange Geschichte, die von Ablehnung gegenüber anderen Prosastilen geprägt ist. Religiöse Reformer hielten ihn für die beste Möglichkeit christliche Bescheidenheit auszudrücken . Wyclif (15. Jahrhundert) betrachtete jedwede Sprachkunst als bloßes Spiel. Die religiöse Erfahrung bedürfe im Protestantismus, so einige Reformer später, keiner Kunst. (3) Ebenso wurde diesem Stil ein hoher wissenschaftlicher Wert zugesprochen.

But this writing has a verbal surface and the plain surface is poor stuff, impersonal or anonymous, always discreet as if discretion were the better part of the squalor.

Anhänger des „plaine style“ richten gegen rhetorische Figuren oder Nachahmungen von Cicero. Statt dessen galt am Beginn des 17. Jahrhunderts Seneca als Vorbild. Insbesondere Francis Bacon tritt für einen direkten und einfachen Stil auf der Suche nach einer Sprache für die Wissenschaft ein. Ähnlich forderte die Royal Society of England:

a close, naked, natural way of speaking, positive expressions, clear sense, a natural easiness, bringing all things as near to the Mathematical plainness as you can.

(4) Dahinter steht die Vorstellung, dass der Schreibende unaffektierte Ernsthaftigkeit verkörpern müsse. Es wird z.B. geschrieben, dass man sich bei einer Sache unsicher ist, aber man zeigt die Unsicherheit nicht. Die gängige Prosa ist weder zögerlich, noch allzu sinnlich. Der Beitrag betrachtet nun Gulliver’s Travels als Beispiel genauer. (5) Der „plain style“ verzichtet nicht auf Visualität, aber er beschränkt die visuelle Erfahrung auf elementare Objekteigenschaften, wie Größe und geometrische Form. Die wahrgenommenen Objekte werden in ihrer Beziehung zu Gulliver, aber selten im Verhältnis zum Setting, z.B. als bewegliche Objekte, dargestellt. Swift beschränkt sich auf visuelle Sinneseindrücke. Geräusche werden nicht erwähnt, allenfalls Gerüche. Die geometrische und mathematische Schilderung des Geschehens akzentuiere zudem eher intellektuell wahrnehmbare Eigenschaften. Gulliver ist mehr über die Größe einer weiblichen Riesenbrust, als über die Brust an sich schockiert. (6) Die Handlung wird trocken und nüchtern beschrieben. Gulliver ist selten involviert. Er wird nie mitgerissen, von dem, was um ihn herum passiert.

The reader is forced to yield sense, sentiment, and his naturally discontinuous habit of thought and response while Swift stimulates his sense of order and reasonableness and acclimates him to the matter-of-factness which is the dominant tone.

Viele halten die Manipulation des Lesers, so dass er für Informationen und Gedanken empfindlich wird, für das höchste Ziel eines Schreibens. Expressivität sorge nur für Probleme. Sie habe jedoch ihre Funktion überall dort, wo Informationsvermittlung nicht im Zentrum stehe, z.B. bei einer Ermunterung.

At very least there is no excuse for impoverishing vocabulary by example, for encouraging drab, pseudoaccurate description or the thin, nude unfolding of average thinking. There is
no excuse for that impersonal, quick, high-probability, low-expectation prose which the schools have encouraged and which they justify by contributing courses in Speed Reading (Why not race through barren landscape?).

Stil gelingt es, die unmittelbaren Bedürfnisse der Situation zu transzendieren. Er ist zugleich ein Zeichen der Wertschätzung, das dem Geschehen nicht mit Gleichmacherei begegne.

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Garvan, Anthony. „The New England Plain Style“. in Comperative Studies in Society and History. Vol. 3/ Nr. 1 (Oct 1960)

‚Purismus ist die bewusste Anstrengung einer Kultur eine allgemein akzeptierte Ikonographie und die impliziten Bedeutungen von Proportionen, Geschmack oder Ästhetik auszugrenzen und an die Stelle der Ikonographie eine pragmatische Lösung für die künstlerischen Probleme zu setzen. ‚ Die Lösung orientiert sich an den Begriffen des Problems und ist demzufolge historischen Veränderungen unterworfen. Einen überzeitlichen Purismus gibt es nicht. Konkret geht es dem Autor um die puritanische Kirchenarchitektur in Neu-England. Der Autor gesteht ein, dass sie von der Grenzsituation der Kolonie geprägt ist. Sie ist in dieser Hinsicht mit Bauten holländischer und deutscher Reformatoren in Amerika vergleichbar. Gleichsam wird sie jedoch durch einen Impuls dominiert, der einen gegenbarocken Kirchenbau zu entwickeln versucht und ist damit auch von der Spezifik des englischen Puritanismus beeinflusst. Aus dem Willen heraus, die kirchlichen Rituale zu reformieren, sollte das Äußere und das Innere der Kirchenbauten neu konzipiert werden. In der Praxis auf englischem Boden sind Spuren lang anhaltender Auseinandersetzungen feststellbar. Oft bleibt die äußere Form unangetastet. Dafür wird das Innere stark verändert. Das Altarkreuz und Heiligenskulpturen werden entfernt. An die Stelle von Mosaikfenstern werden klare Fensterscheiben gesetzt. Aufwändig gestaltete Sitzplätze baute man aus und einfache Boxensitze ein. Da es oft Streitigkeiten über die Position des Altars gab, wurde ein transportables Modell bevorzugt. Die puritanischen Emmigranten brachten nach Amerika eine jahrzehntelange Erfahrung, aber kein System, hinsichtlich der räumlichen Neuordnung des Kircheninneren mit. Vergleichbare Erfahrungen im Außenbau fehlen. Die Architektur wurde diesbezüglich von Kritik bestehender Kirchenbauten und Ablehnung gegenüber Innovationen geleitet.

„… the decision to depart from traditional English ecclesiastical design represented at the outset an effort to design an audience chamber suitable for sermons, well lit, plainly ornamented and totally free from liturgical symbolism.“ (110)

In den Kolonien wurden die Kirchen an zentraler Stelle oft gegenüber der „Gemeindeverwaltung“ gebaut. Die antiliturgische Einstellung verlangte die Ausrichtung entlang einer Nord-Süd-Achse und eine symmetrische Bauweise. Bevorzugt wurde ein quadratischer Grundriss, der nicht unproblematisch war, weil dadurch einige Gottesdientsteilnehmer hinter dem Prediger saßen. Im Inneren verzichtete man nicht ganz auf Symbole, aber vermied Anklänge an die Tradition, insbesonder Kruzifixdarstellungen.

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